
Psychosomatische Langzeitfolgeschäden nach Hepatitis-C-kontaminierter Anti-D-Prophylaxe
Der größte Medizinskandal der DDR und seine Folgen
Von 1978 bis 1979 wurden tausende Rhesus-negative Frauen in der DDR nach einer Entbindung, einem Schwangerschaftsabbruch oder einer Fehlgeburt durch die Gabe von kontaminierten Anti-D-Immunglobulin-Präparaten mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert. Insgesamt kamen 6.773 verunreinigte Ampullen zum Einsatz. Diese verunreinigte Anti-D-Prophylaxe-Impfung war eine folgenreiche Arzneimittelstraftat in der DDR, die vor der Öffentlichkeit und den Betroffenen geheim gehalten wurde. Die Betroffenen wurden kaum oder gar nicht über die Erkrankung aufgeklärt. Denn der politische Druck der SED-Regierung auf das Gesundheitssystem der DDR, medizinische Fehler nicht öffentlich zu machen, war enorm. Innerhalb der DDR und auch im Ausland sollte das sozialistische Gesundheitssystem in einem positiven Licht stehen und im internationalen Vergleich gut abschneiden. Neben der Vertuschung des Medizinskandals kam erschwerend dazu, dass es wenig Wissen über das neuartige Hepatitis-C-Virus gab. Die Folgen einer Infizierung mit dem Hepatitis-C-Virus wurden unterschätzt. Infolgedessen wurde der Impfstoff auch nach ersten Hinweisen einer Verunreinigung weiter verabreicht.
Komplexe Folgen für die Betroffene
Auch mehr als vier Jahrzehnte nach der kontaminierten Anti-D-Prophylaxe 1978/1979 leiden die Betroffenen an komplexen psychosozialen und körperlichen Folgen der Arzneimittelstraftat. Entgegen der Annahme, die Hepatitis würde nach sechs Monaten vollständig ausheilen, kam es in vielen Fällen zur Chronifizierung der Entzündung. Die Erkrankung beschränkte sich dabei nicht lediglich auf die Leber. Eine Hepatitis-C-Infektion kann sämtliche Organsysteme betreffen, sodass sogenannte extrahepatische Manifestationen wie beispielsweise Gelenkbeschwerden, Konzentrationsstörungen, das Fatigue-Syndrom oder psychische Erkrankungen in Erscheinung treten. Die gesundheitlichen Folgeschäden der Betroffenen wurden nur mühsam und in den meisten Fällen erst nach 1990 anerkannt. Dies führte zu einem Vertrauensverlust der Betroffenen in das Gesundheitssystem. Dieser Vertrauensverlust äußert sich auch heute noch durch eine kritische, verschlossene und misstrauische Grundhaltung der Betroffenen gegenüber medizinischem Fachpersonal, auch wenn diese mit dem eigentlichen Unrecht nicht in Verbindung stehen. Dies erschwert den Patientinnen den Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung.
Die Auswirkungen beschränken sich nicht ausschließlich auf die körperliche Gesundheit, sondern betreffen ebenfalls ihr Erleben und Verhalten, das soziales Gefüge, Familienbeziehungen sowie ihr Arbeitsleben. Die psychische Belastung der Frauen nach unverschuldeter Infektion mit dem Erreger sowie ihre Bemühungen, ihr Schicksal zu bewältigen, wurden bisher wenig beachtet.
Handlungsbedarfe für die Praxis
Es ist wichtig, dass insbesondere in psychotherapeutischen Settings der bestehende psychosoziale Schaden Berücksichtigung findet, sowie bei der Betrachtung des körperlichen Schadens die extrahepatischen Manifestationen miteinbezogen werden. Die Entschädigung der betroffenen Personen erfolgt seit 2000 gemäß dem „Gesetz über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen“ (AntiDHG). Die erforderlichen Begutachtungen sind oft mit erheblichem Kraftaufwand verbunden und führen nicht immer zu einer Verbesserung der Situation. Viele Betroffene wünschen sich in Anlehnung an die Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze (ab 01.07.2025) eine kriterienbasierte Vermutungsregelung. So müssten nicht mehr die Geschädigten den Unrechtszusammenhang belegen, sondern dieser würde bei Vorliegen bestimmter schädigender Ereignisse und bestimmter gesundheitlicher Schädigung vermutet.
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Psychosomatische Langzeitschäden nach Hepatitis-C-kontaminierter Anti-D-Prophylaxe in der DDR
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